Bei der ursprünglichen Form der Bürgerwissenschaft, im englischen Citizen Science, geht ein Laie seinen speziellen, eigenen Interessen nach. Das heißt, er investiert unter Umständen in sein Hobby mehr Zeit und Geld als in den Beruf. Ein Citizen Scientist kümmert sich um Themen aus seiner alltäglichen Umgebung und Lebenserfahrung – aus der lokalen und regionalen Forschung, der Stadtgeschichte und Heimatkunde. Viele Amateure erwerben sich so auf bestimmten Gebieten ein beachtliches, breites Wissen.
Ostsee © Jens Büttner/dpa
Das Wort Amateur heißt wörtlich, dass jemand einer Beschäftigung mit großer Leidenschaft nachgeht, er „liebt, was er tut“. Amateure suchen sich ihre Liebhaberei-Hobbys meist in ihrem direkten Lebensumfeld, sei es im Bereich der Ornithologie, der Pflanzenkunde, Mykologie oder Naturkunde. Jeder Laie kann zum Bürgerforscher werden und die Wissenschaft voranbringen, auch ohne formale Ausbildung.
Die Wissenschaft braucht Laienforscher
Diese Laienforscher sind Spezialisten, sie kennen sich in einem kleinen Fachgebiet bestens aus. Deshalb melden sie freiwillig Beobachtungen, führen Messungen durch, kartieren und dokumentieren in ihrer Freizeit – sei es in der Natur, in ihrer direkten Umgebung oder zu bestimmten politischen Fragen.
Manche Forscher sagen hinter vorgehaltener Hand, ohne Laien gehe es in der Wissenschaft häufig gar nicht mehr. Es gibt Projekte, bei denen hauptsächlich Daten gesammelt werden, bis hin zu solchen, bei denen ein so spezielles Wissen vonnöten ist, dass die Wissenschaft nicht mehr auf die Laienforscher verzichten möchte.
- Mückenatlas Deutschland: Im Auftrag der Wissenschaft sind Bürger aufgerufen, Mücken zu fangen und sie an das Leibniz Zentrum für Agrarlandschaftsforschung zu schicken, um Mücken zu kartieren. Wichtig dabei: Die Mücken sollen konserviert und nicht totgeschlagen werden.
- Flora von Bayern: Ziel der Initiative „Flora von Bayern“ ist es, alle Gefäßpflanzen einschließlich der natürlich vorkommenden, neu eingebürgerten, invasiven, aber auch der ausgestorbenen Arten zu beschreiben. Die floristische Initiative erfasst und dokumentiert den Zustand der Flora in Bayern über Zeit und Raum. Die dadurch verfügbaren Informationen sind von enormer Bedeutung für Fragen des Artenschutzes in ganz Deutschland. Zur Verwirklichung dieses Projekts ist die Mitarbeit ehrenamtlich engagierter Artenmonitoring-Experten und Kartierer entscheidend.
- Brutvogelatlas Deutschland: In Deutschland brüten 280 verschiedene Vogelarten. Die häufigsten sind Buchfink und Amsel. Das sind nur zwei Ergebnisse von ADEBAR, einem bürgerwissenschaftlichen Projekt in Deutschland, an dem 4.000 Vogelbeobachter und -innen mitgearbeitet haben.
- „Artigo – Das Kunstgeschichtsspiel„: Interessierte sind aufgefordert, fotografierte Kunstwerke in 60 Sekunden für eine Suchmaschine zu verschlagworten. Das Projekt wurde von den Kunsthistorikern der LMU München entwickelt. Beim Spielen lernt der Mitmachende Kunstwerke kennen und trägt dazu bei, die Suchmaschine zu verbessern. Der Reiz des Spiels besteht darin, beim sogenannten „Social Image Tagging“ Spielpunkte zu erwerben.
- „Verlust der Nacht„-App für Android-Smartphones: Die App soll die Himmelshelligkeit messen. Jeder, der mitmacht, ist aufgerufen, sieben Sterne zu finden. Ist es zu hell, um sie am Himmel zu sehen, ist die Lichtverschmutzung zu hoch.
Wenn Amateure der Wissenschaft helfen
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bietet für Citizen Science-Projekte eine Plattform an: Bürger schaffen Wissen.de. Hier kann man sich einen Überblick über Bürgerforscher-Projekte in Deutschland verschaffen.
Laien und Profis im Verbund?
Eine wichtige Frage stellt sich stets bei der Bürgerforschung: Wie zuverlässig sind die Daten, die die ehrenamtlichen Experten liefern? Denn häufig erkennt die akademische Wissenschaft die Laien nicht an. Daten sammeln, kartieren, dokumentieren – dafür werden die Amateure gerne eingesetzt. Doch die Auswertung der Daten wollen die Profiforscher nicht aus der Hand geben.
Audio: Citizen Science – Wie Amateure und Laien die Forschung voranbringen
Der Bielefelder Professor Peter Finke, Wissenschaftstheoretiker und Autor des Buches „Citizen Science: Das unterschätzte Wissen der Laien“ wertet es als einen Mehrwert, wenn der eingeschränkte Blick des Experten ergänzt wird durch den allgemeinen Blick eines Bürgers. Finke ist der Meinung, dass die Zusammenarbeit von Laien und Profis in England und den USA besser läuft und dass Laien und Amateurforscher in Deutschland noch viel Potenzial haben, das von der Wissenschaft ausgenutzt werden sollte.
Grenzen der Bürgerforschung
Es gibt aber auch Bereiche, in denen Laienforscher nicht eingesetzt werden sollten, beispielsweise in der medizinischen Forschung oder in der Teilchenphysik. Dort benötigt der Forschende ein sehr fundiertes Vorwissen oder langjähriges Studium, ohne die es zu keinen brauchbaren Ergebnissen kommen würde. Wenn es abstrakt wird, sind die Profis meist konkurrenzlos. Und Laien haben auch häufig keine Chance, wenn es um den Einsatz von teuren Geräten und Labors geht.
Ein Igel in einer privaten Igel-Auffangstation in der Hand seines „Pflegevaters“ © Boris Roessler/dpa
Wie sieht also der ideale Citizen Scientist aus? Er forscht ehrenamtlich und unentgeltlich. Damit ist er auch vor dem Eingriff von Politik und Wirtschaft geschützt. Denn der Bürgerforscher sucht sich sein Forschungsgebiet selbst aus, er wird nicht von einem Forschungsinstitut beauftragt. Der perfekte Citizen Scientist ist also frei und unabhängig. Wissenschaftliche Relevanz erhalten die Projekte aber erst, wenn die Daten systematisch von Profis ausgewertet werden. Im Fall des „Igel in Bayern“-Projekts wird es mehrere begleitende wissenschaftliche Arbeiten geben. Welche das sind, können Sie auf der Seite „Über Uns“ nachlesen.